geschrieben von Thade Rosenfeldt
Wer am späten Abend des 28. April 2019, ein Sonntag, im Marburger Bahnhof zugegen war, konnte ein kurioses Bild bestaunen. Ein älterer Herr steht, den Blick konzentriert auf die Treppen zum Bahnsteig 4 gerichtet, in der Unterführung. In seinen Händen glänzt eine Trompete in der sterilen Bahnhofsbeleuchtung. Die teils neugierigen, teils befremdeten Blicke der späten Passanten ignorierend, scheint er auf irgendetwas zu warten.
Dann endlich fährt der Zug um 21:33 Uhr aus Kassel ein. Das Bahnhofsgebäude füllt sich mit dem üblichen, kurzlebigen Betrieb einer weiteren Fuhre eiliger Heimkehrer. Unter ihnen erspäht der Wartende eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus vier Sehbehinderten - Alle sehen sie ziemlich müde aus.
Er hebt sein Instrument an die Lippen und spielt. Die strahlenden Klänge einer heroischen Fanfare schallen prächtig durch die Gänge und verkehren Zeit und Raum. Noch eben schleppten sich die Vier durch den muffigen Alltagsfuturismus einer Bahnreise vom Rand der Landkarte. Doch nun sind sie heldenhafte Heimkehrer aus einer siegreichen Schlacht. Ein Hauch von Adel umweht sie zusammen mit den weithin hörbaren Ehrbekundungen ihres persönlichen Herolds. Gut eine Minute hält der Zauber an. Dann verhallen die letzten machtvollen Töne in den Gewölben des Bahnhofneubaus vor den Türen des lokalen McDonalds. Zurück bleibt ein halb gerührter, halb peinlich berührter Deutscher Meister im Showdown, dessen Vater es sich nicht nehmen lassen hat, ihn mitten in der Nacht mit lautstarken Getute vom Zug abzuholen.